Handschriften und alte Drucke
- Konsultation: Historische Buchkunde
- Konsultation: Erschließung
Konsultation: Historische Buchkunde
Historische Buchkunde beschäftigt sich mit der Entwicklung und Herstellung von Büchern im Laufe der Zeit. Im Fokus stehen Handschriften und frühe Drucke, ihre Materialien, Schreibtechniken sowie die Entwicklung des Buchdrucks. Die folgenden Abschnitte geben einen Überblick über die wesentlichen Themen und Prozesse.
Buchherstellung im Mittelalter
Handschriften und Beschreibstoffe
- Liber Scivias von Hildegard von Bingen: Beispiel einer Handschrift aus dem 12. Jahrhundert.
- Materialien: Schreibgeräte, Tinten, Pergament, Papier.
Codex vs. Rolle
- Frühere Bücher wurden als Rollen angelegt, später setzte sich der Codex durch (ein aus gefalteten und gebundenen Blättern bestehendes Buch).
- Beispiel: Vergilius Vaticanus (5. Jahrhundert) als eine der frühesten Handschriften im Codex-Format.
Aufbau eines Codex
- Ein Buch oder Codex besteht aus Lagen aus Doppelblättern, die in einer bestimmten Reihenfolge zusammengeheftet werden.
- Übung zur Lagenformel anhand eines Beispiels aus der Leipziger Bibliothek.
Papierherstellung und Wasserzeichen
Herstellung und Bedeutung von Papier
- Entwicklung der Papierherstellung in Europa trug maßgeblich zur Verbreitung von Büchern bei.
- Wasserzeichen dienten als Markierungen zur Identifikation von Papiermühlen und -arten.
Wasserzeichenanalyse
- Methoden zur Analyse von Wasserzeichen umfassen Abreiben und Betaradiographie.
- Wichtige Datenbanken für die Forschung:
- WZIS: Wasserzeichen-Informationssystem.
- Piccard: Wasserzeichensammlung Piccard.
- WZMA und Briquet.
Einbandkunde (Bucheinbände)
Einbandarten im Mittelalter
- Mittelalterliche Bucheinbände bestanden oft aus Holzdeckeln und wurden mit Leder überzogen.
- Beispiel: Gotische Einzelstempel und Kopertbände.
Renaissance- und Barockeinbände
- Renaissance-Einbände: Verzierungen mit Goldprägungen und künstlerischen Stempeln, oft in Deutschland und Italien entwickelt.
- Barockeinbände: Weiterentwicklungen wie der Fanfare-Stil (Paris, um 1600).
Neuzeitliche Einbandstile (16.-19. Jahrhundert)
- Im 16. Jahrhundert entwickelten sich in Deutschland und Italien Einbände mit Rollen- und Plattenpressung.
- Im 19. Jahrhundert kam es zur Mechanisierung der Buchherstellung durch den Einsatz von Falz- und Heftmaschinen.
Inkunabelkunde (Frühe Drucke)
Definition und Vorläufer
- Inkunabeln: Bücher, die zwischen 1454 und 1500 mit beweglichen Lettern gedruckt wurden.
- Blockbücher: Eine frühere Form von Druckwerken, die als Vorläufer der Inkunabeln gelten.
Verbreitung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert
- Entwicklung des Buchdrucks in verschiedenen Städten Europas:
- Bamberg (1459), Straßburg (Johannes Mentelin), Rom, Basel, Venedig und viele weitere.
Merkmale früher Drucke
- Frühe Drucke besaßen häufig kein Impressum (Informationen über Drucker, Druckort, Druckdatum).
- Seitenzahlen und Lagenzählung waren oft nicht vorhanden.
Alte Drucke (15. bis 19. Jahrhundert)
Merkmale alter Drucke
- Manuelle Setzung der Lettern, individuelle Einbände und teilweise Druckvarianten innerhalb einer Ausgabe.
- Druckanalyse hilft, verschiedene Ausgaben und Druckvarianten zu identifizieren, besonders relevant für textkritische Untersuchungen.
Entwicklung des Buchhandels
- Der Buchdruck führte zur Verbilligung von Büchern, was den Buchhandel belebte und die Gründung neuer Bibliotheken förderte.
Provenienzforschung
Ziel der Provenienzforschung
- Untersuchung der Herkunft und Besitzgeschichte eines Buches, um Informationen über seine Wertsteigerung, Diebstahl, Rezeptionsgeschichte und mögliche Restitutionsansprüche (z. B. NS-Raubgut) zu erhalten.
Formen der Provenienzmerkmale
- Individuelle Einträge: Handschriftliche Vermerke wie Besitz- oder Widmungseinträge, Exlibris, Stempel oder Wappen.
- Bucheinbände können Hinweise auf Vorbesitzer geben, beispielsweise durch Buchbinderstempel oder Blindprägungen.
Schriftgeschichte
Entwicklung der Schriftarten
- Beispiel: Karolingische Minuskel (um 1000) und humanistische Minuskel (um 1480), welche für verschiedene kulturelle und literarische Bewegungen standen.
- Handschriften dienten auch als Quellen für die Objektgeschichte.
Früheste Drucktypen
- Gutenberg-Bibel: Ein Beispiel für frühe Druckkunst mit 42-zeiliger Textur.
- Verschiedene Drucktypen im 15. Jahrhundert, z. B. Druckrotunda (Venedig 1500) und Schwabacher.
Zusammenfassung
Die historische Buchkunde umfasst eine Vielzahl an Themen, die von der Herstellung mittelalterlicher Handschriften bis zur Analyse früher Drucke und deren Einbände reichen. Wichtige Aspekte wie die Entwicklung des Buchhandels, Provenienzforschung und die Entstehung verschiedener Schriftarten zeigen, wie Bücher und Drucke nicht nur kulturelle Artefakte, sondern auch wertvolle historische Quellen sind.
Quellen und Verweise
- Literaturdatenbanken
- Wasserzeichendatenbanken (z. B. WZIS, Briquet)
- Inkunabelkataloge
- Provenienzforschungsdatenbanken.
Konsultation: Erschließung
Einführung
Diese Vorlesung beschäftigt sich mit der Erschließung mittelalterlicher und neuzeitlicher Handschriften sowie alter Drucke. Ziel der Erschließung ist es, historische Dokumente zugänglich zu machen, indem sie beschrieben, katalogisiert und digital verfügbar gemacht werden. Besonderes Augenmerk liegt auf der Provenienzforschung und der Dokumentation von Besonderheiten einzelner Werke.
Mittelalterliche Handschriften
Koordination der Handschriftenkatalogisierung in Deutschland
- Die Katalogisierung mittelalterlicher Handschriften wird in Deutschland durch DFG-Handschriftenzentren koordiniert:
- Staatsbibliothek zu Berlin
- Universitätsbibliothek Leipzig
- Bayerische Staatsbibliothek München
- Württembergische Landesbibliothek Stuttgart
- Zentraler Katalog: Manuscripta Mediaevalia (manuscripta-mediaevalia.de).
Erschließungsrichtlinien
- Tiefenerschließung: Detaillierte Katalogisierung nach den Richtlinien der DFG.
- Kurzerfassung (Inventar): Schema der Bestandsliste zur standardisierten Kurzerfassung (seit 2011).
- Neue Technologien: Nutzung von TEI-XML zur Erschließung im Handschriftenportal (handschriftenportal.de).
Beispiel: Faszikelhandschrift Clm 14504 (BSB München)
- Historische Erschließung und Modernisierung anhand von Katalogen und Inventarverzeichnissen.
Neuzeitliche Handschriften
Arten von neuzeitlichen Handschriften
- Buchhandschriften: Werke, die als Ersatz für Druckwerke erstellt wurden, oft für den Gebrauch in Schulen oder Bibliotheken.
- Musikhandschriften: Erfasst über das RISM-Portal (opac.rism.info).
- Bibliothekskataloge: Historische Kataloge, z. B. in der BSB München (digitale Sammlungen).
Nachlässe und Autographen
- Unterscheidungen:
- Vorlass: Überlassung von Materialien zu Lebzeiten.
- Echter Nachlass: Materialien nach dem Tod des Autors.
- Kryptonachlass: Nachlass ohne geplante Weitergabe.
- Autographen: Handschriftlich signierte Dokumente.
- Nachlasserfassung: Unterschiedliche Erschließungsprinzipien in Archiven (Provenienzprinzip) und Bibliotheken (Pertinenzprinzip).
Portale für Nachlässe
- Kalliope-Portal (kalliope.staatsbibliothek-berlin.de): Zentrales Portal für die Erfassung von Nachlässen.
- Koop-Litera: Internationales Netzwerk für Nachlässe (onb.ac.at/koop-litera).
Inkunabeln (Frühe Drucke)
Besondere Merkmale
- Inkunabeln (Wiegendrucke) sind Bücher, die zwischen 1454 und 1500 mit beweglichen Lettern gedruckt wurden.
- Häufige Probleme bei der bibliographischen Erschließung:
- Fehlen von Druckjahr, Druckort oder Autor.
- Keine Blattzählung.
- Individuelle Züge: Handschriftliche Einträge, Rubrizierungen und Paratexte.
Bibliographische Ziele
- Bestimmung von Druckort, Drucker und Druckjahr.
- Unterscheidung von verschiedenen Ausgaben.
- Textidentifizierung und Analyse von exemplarischen Besonderheiten.
Inkunabelbibliographien und Kataloge
- Ludwig Hain: Erste systematische Erfassung von Inkunabeln.
- Wichtige Kataloge:
- Gesamtkatalog der Wiegendrucke (gesamtkatalogderwiegendrucke.de).
- Incunabula Short Title Catalogue (ISTC) (data.cerl.org/istc).
- INKA: Inkunabelkatalog deutscher Bibliotheken (inka.uni-tuebingen.de).
Neuzeitliche Drucke (16.-18. Jahrhundert)
Neue Konventionen in der Buchgestaltung
- Einführung von Titelblättern, Registern und Kolumnentiteln.
- Verbreitung der Antiquaschriften (außer in Deutschland, wo weiterhin die Fraktur verwendet wurde).
- Entwicklung der Blattzählung und später der Seitenzählung.
VD-Projekte (Retrospektive Nationalbibliographien)
- Verzeichnisse der im deutschsprachigen Raum erschienenen Drucke:
- VD 16: (bsb-muenchen.de).
- VD 17: (vd17.de).
- VD 18: (gso.gbv.de).
Katalogisierung und Provenienzforschung
Druckforschung und Katalogisierung
- Unterscheidung von Druckvarianten durch standardisierte Verfahren:
- Fingerprint-Verfahren: Identifikation durch Zeilenumbruch und Position der Lagensignaturen.
- Signaturformeln: Überprüfung der Vollständigkeit und Ergänzungen eines Druckwerks.
Provenienzerschließung
- Ergänzende Erschließungsebene zur Formalen und Inhaltlichen Erschließung.
- Quellen der Provenienzforschung:
- Handschriftliche Einträge (Widmungen, Exlibris, Stempel).
- Buchbinderstempel und andere Einbandmerkmale.
- Provenienzvokabular und Thesaurus (provenienz.gbv.de).
Übung und Anwendungen
Übung zur Inkunabelsuche
- Suchen Sie Inkunabeln im Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) und im ISTC.
- Beispiel: Hartmann Schedel, Liber Chronicarum (München, BSB, Rar 287).
Digitalisate und Incipitsuche
- Beispielhafte Incipitsuche und Verknüpfung mit vorhandenen Digitalisaten aus dem VD-Projekt.
Zusammenfassung
Die Erschließung von Handschriften und alten Drucken ist ein komplexer Prozess, der sowohl tiefgehende Kenntnisse der historischen Materialien als auch moderne digitale Werkzeuge erfordert. Von der Provenienzforschung bis zur digitalen Verfügbarmachung von Inkunabeln und Nachlässen spielt die Erschließung eine zentrale Rolle bei der Bewahrung und dem Zugang zu kulturellem Erbe.
Quellen und Verweise
- Manuscripta Mediaevalia (manuscripta-mediaevalia.de).
- Kalliope-Portal (kalliope.staatsbibliothek-berlin.de).
- Gesamtkatalog der Wiegendrucke (gesamtkatalogderwiegendrucke.de).